Drei Ansatzpunkte für resiliente Lieferketten
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass nicht nur große Ereignisse wie eine Pandemie oder ein Krieg enorme Auswirkungen auf die Warenwirtschaft rund um den Globus haben können: In einer globalisierten Welt können auch vergleichsweise kleine Störungen enorme Wellen schlagen. Als beispielsweise im Januar 2021 das Frachtschiff Ever Given im Suez-Kanal auf Grund lief, wurde die Blockade innerhalb von sechs Tagen behoben. Da jedoch während Zeit eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt blockiert war und sich in beide Richtungen Frachtschiffe stauten, dauerte es Wochen und Monate, bis sich Supply Chains in aller Welt von den Folgen des Vorfalls erholt hatten.
Um im Falle eines Falles schnell auf Probleme entlang der Lieferkette reagieren zu können, legen auch kleine und mittelständische Unternehmen zunehmend Wert auf umfassendes Risikomanagement im Einkauf. Als Schlüssel zum Erfolg wird dabei die sogenannte „Supply Chain Resilience“ gehandelt – die Resilienz der Lieferkette. Aber was bedeutet das in der Praxis: Welche Ansatzpunkte können Unternehmen nutzen, um den Einkauf gehen Störungen in der Supply Chain abzusichern?
Die Experten von SEMINAR-INSTITUT haben das Thema für Sie beleuchtet.
Supply Chain Resilience: Definition und Status Quo
Der Begriff der Resilienz ist aus dem Lateinischen entlehnt: „resilire“ bedeutet übersetzt so viel wie „zurückprallen“ oder „nicht anhaften“. Und genau darum geht es auch. Resilienz beschreibt die Fähigkeit, schädliche äußere Einflüsse abprallen zu lassen – und zwar durch Anpassung der eigenen Prozesse an die neuen Gegebenheiten. Angewandt auf den Einkauf bedeutet Supply Chain Resilience daher, dass die Beschaffung aller erforderlichen Waren und Dienstleistungen mit viel Weitsicht geplant wird, damit die Lieferkette auch in turbulenten Zeiten stabil bleibt.
Vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse scheint eine resiliente Supply Chain wichtiger denn je zuvor. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey deutet jedoch darauf hin, dass Unternehmen in den vergangenen Jahren weniger die Prozesse im Einkauf als ihre Lagerbestände angepasst haben, um Engpässen vorzubeugen. So gaben Ende 2021 insgesamt 61 Prozent der Befragten an, dass sie den Lagerbestand wichtiger Produkte im Vergleich zum Vorjahr erhöht hatten. Außerdem stockten 42 Prozent der Unternehmen ihr Lager nicht nur an einzelnen kritischen Stellen, sondern entlang der gesamten Lieferkette auf.
Um langfristige Supply Chain Resilience zu gewährleisten, gilt es allerdings, auch die Prozesse im Einkauf genauer in den Blick zu fassen – denn nur wenn sich die Lieferkette von eventuellen Ausfällen schnell erholt, bieten die umfassenden Lager den gewünschten Schutz.
Ansatzpunkt #1: Dual Sourcing an kritischen Stellen der Supply Chain
Um ihre Lieferketten robuster zu gestalten, setzen 55 Prozent der im Rahmen der bereits erwähnten McKinsey-Studie befragten Unternehmen auf sogenanntes „Dual Sourcing“ im Einkauf. Das bedeutet, dass ein- und dasselbe Produkt von zwei unabhängigen Lieferanten bezogen wird. Dadurch lassen sich Engpässe in der Supply Chain auch bei geringem Lagerstand vergleichsweise schnell und günstig abfedern. Fällt ein Lieferant aus, ist schließlich bereits ein alternativer Anbieter bekannt, der ein vergleichbares Produkt zu akzeptablen Konditionen liefern kann.
Allerdings erweist sich der flächendeckende Aufbau redundanter Strukturen im Einkauf nicht für jedes Unternehmen als sinnvoll. Mit der Zahl der Lieferanten wächst schließlich auch die Komplexität der gesamten Supply Chain – und folglich auch der Aufwand im Lieferantenmanagement und Einkaufscontrolling. Aus diesem Grund ist es ratsam, Dual Sourcing im Einkauf zunächst auf diejenigen Materialien und Produkte zu fokussieren, die für reibungslose Abläufe im Unternehmen unerlässlich sind.
Für weniger kritische Elemente der Supply Chain lohnt sich indes ein regelmäßiger Anbietervergleich: So kann der Einkauf bei Bedarf schnell Kontakt zu alternativen Lieferanten aufnehmen, ohne in der Zwischenzeit zusätzliche Verbindlichkeiten in Kauf zu nehmen.
Ansatzpunkt #2: Mehr Transparenz entlang der Lieferkette
Nahezu jeder Lieferant, bei dem ein Unternehmen einkauft, verfügt über eine ganz eigene Lieferkette – und je größer der Vorfertigungsgrad der Produkte, desto länger ist diese Supply Chain, da auch die Lieferanten ihrerseits Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe von anderen Unternehmen beziehen. Sieht sich nur einer der Betriebe in dieser Kette mit unverhofften Problemen konfrontiert, kann diese Störung schnell große Kreise ziehen und schlimmstenfalls die Supply Chains zahlreicher Unternehmen unterbrechen.
Um zu ermitteln, an welchen Stellen eine Lieferkette besonders anfällig für Störungen sein könnte, braucht es daher ein gewisses Maß an Transparenz. Genau hier wird es jedoch schnell schwierig, denn in einer globalisierten Welt ist es nicht immer leicht, alle Akteure und Prozesse in der Lieferkette im Blick zu behalten. Fast die Hälfte aller Unternehmen aus der McKinsey-Studie gab an, die Risiken zu kennen, mit denen sich ihre Lieferanten konfrontiert sehen. Wie es um die Unternehmen steht, bei denen ihre Lieferanten einkaufen, wussten jedoch nur zwei Prozent.
Einen ersten Ansatzpunkt für die Evaluation der Risiken, die mit den Verzweigungen einer Lieferkette über Ländergrenzen hinweg einhergehen, bietet der FM Global Resilience Index. Dieses digitale Tool stuft die Wirtschaft von 130 Ländern auf einer Skala von 1 (unzuverlässig) bis 100 (sehr zuverlässig) ein. Dieses Ranking basiert auf einer umfassenden Analyse potenzieller Risikofaktoren, in die u.a. die politische und wirtschaftliche Lage sowie Umweltbedingungen und die Infrastruktur vor Ort einfließen.
Und apropos digitale Tools für die strategische Planung im Einkauf …
Ansatzpunkt #3: Digitalisierung im Supply Chain Management
Die COVID-19-Pandemie hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst, von dem auch das Supply Chain Management profitiert. So zeichnet sich etwa seit Anfang 2020 ein branchenübergreifender Trend zum Einsatz digitaler Tools für Analyse und Planung von Lieferketten ab. Neben zusätzlicher Transparenz durch Echtzeit-Monitoring von Lagerbeständen und Lieferwegen ermöglichen diese Softwarelösungen auch individuell auf die einzelnen Elemente der Supply Chain zugeschnittene Bedarfsprognosen und Risikoanalysen.
Allerdings setzen datengestützte Strategien im Einkauf auch eine starke digitale Infrastruktur voraus – und selbst in Unternehmen, die in puncto Digitalisierung bereits stark aufgestellt ist, setzt das Supply Chain Management oft noch auf Low-Tech-Lösungen. Wie groß das ungenutzte Potenzial der Digitalisierung im Supply Chain Management ist, zeigt der Blick auf eine weitere McKinsey-Studie. Darin gaben 73 Prozent der Befragten gaben an, für die Organisation ihrer Lieferketten vor allem Spreadsheets zu nutzen. 53 Prozent der Unternehmen verwenden außerdem SAP APO, eine alte Version der beliebten Management-Software, deren Support bis 2027 eingestellt werden soll.
Mit Blick auf die Prozessoptimierung im Einkauf bedeutet das, dass sich die eingehende Auseinandersetzung mit der digitalen Infrastruktur durchaus rentieren kann: Schon kleine Upgrades können große Auswirkungen auf die Transparenz der Lieferkette und damit auch auf die Supply Chain Resilience haben.
Seminare und Coaching für effizientere Prozesse im Einkauf
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